Vom Sehen und Gesehenwerden von yamimaru ================================================================================ Kapitel 19: Sokushin – Erleichterung ------------------------------------ Uruha:   Hätte mir am Morgen jemand gesagt, dass ich am Nachmittag in Aois Küche vor ihm auf dem Fliesenboden knie und wir uns küssen, hätte ich denjenigen auf den Mond geschossen. Es tut mir noch immer leid, ihn und seine Situation ausgenutzt zu haben, aber er scheint mir nicht böse zu sein. Wie auch immer er das anstellt, ich wüsste nicht, ob ich an seiner Stelle so nachsichtig sein könnte. Allerdings werde ich mich hüten, und sein Handeln hinterfragen. Viel lieber lehne ich mich noch ein Stückchen näher, bis er beide Arme fest um meinen Rücken legt und unseren Kuss intensiviert.   Er schmeckt gut. Irgendwie nach süßen Früchten – vermutlich der Tee, den er sich vorhin aufgebrüht hat und der nun vergessen auf dem Tisch stehend erkaltet. Ich fahre mit gespreizten Fingern durch sein blau gefärbtes Haar, bin erstaunt, wie weich sich die Strähnen anfühlen. Auch seine Lippen sind herrlich zart und als sich seine Zunge frech in meinen Mund stiehlt, um ihr Gegenstück zu suchen, entkommt mir ein gedämpftes Keuchen. In meinem Magen kribbelt die Euphorie, als hätte ich viel zu viel Brause gegessen. Nur langsam lösen wir uns wieder, sehen uns unverwandt in die Augen.   „Siehst du mich?“, stelle ich die Frage, die mir schon so lange unter den Nägeln brennt.   „Mit all meinen Sinnen“, entgegnet er und sagt damit mehr, als ich mir hätte erträumen können. Ein wackliges Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und verschwindet nicht einmal dann, als leicht raue Fingerkuppen erneut über meine linke Wange streicheln. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich die Berührung meiner Narben genießen würde, aber es fühlt sich nicht so schlimm an, wie ich befürchtet habe. Beim ersten Mal war ich zu überrumpelt und aufgewühlt, um an mehr als Flucht zu denken. Beim zweiten Mal habe ich es stoisch ertragen, eine Art Strafe dafür, dass ich Aois Unfähigkeit, mich richtig sehen zu können, so schändlich für mich und meine Unsicherheiten ausgenutzt habe. Diesmal jedoch sehe ich den Ausdruck in Aois Gesicht – eine Mischung aus Bedauern, Zuneigung und Wunder, Letzteres vermutlich, weil ich ihn gewähren lasse.   „Ich könnte dich nie abstoßend finden.“ Er spricht nur leise, ganz nah an meinem Gesicht, sodass ich jeden seiner Atemzüge als feinen Hauch über meine Haut wispern fühle. Eine Gänsehaut folgt seinen Worten und ich schließe die Augen, als er mein Kinn sanft nach oben drückt und beginnt, zarte Küsse auf meinem Hals zu verteilen. „Ich finde so vieles an dir unheimlich anziehend. Deine weiche Haut …“ Wieder ein Kuss, dann seine Zunge, die seinem eben mit den Lippen gezeichneten Pfad folgt. „Dein Duft.“ Er atmet tief ein, was mir eine glühende Röte ins Gesicht treibt. Ich keuche. „Deine Stimme …“ Ich ahne, dass seine Auflistung eine ohne festgelegtes Ende ist, als er meinen Mund erneut erobert, mir jeden weiteren Gedanken raubt.   Wie lange wir uns küssen, kann ich nicht sagen. Meine Knie schmerzen leicht und mir ist trotz Aois Körperwärme kalt, doch nichts und niemand brächte mich dazu, irgendetwas an unserer Position zu ändern. Gerade, als ich diesen Gedanken vollendet habe, schrillt ein unangenehmer Laut durch den Raum und lässt Aoi und mich gleichermaßen zusammenzucken.   „Tschuldige“, keuche ich erschrocken, „das ist meins.“ Ich krame den Störenfried aus der Innenseite meiner Jacke und bemerke erst jetzt, dass ich noch nicht einmal Zeit gefunden habe, sie auszuziehen. Ich schnaube über mich selbst amüsiert, während ich auf das Display sehe, auf dem Rukis Name rhythmisch aufblinkt. „Ruki ruft an“, informiere ich Aoi. „Sorry, aber da muss ich rangehen, nicht, dass etwas mit dem Laden ist.“   „Mach nur, kein Problem.“ Er lächelt mich an und streicht mir durch die Haare, die dank seiner Finger bestimmt in alle Himmelsrichtungen abstehen.   „Hi Ruki, ist alles okay?“, frage ich lächelnd und lasse es mir nicht nehmen, Aois Hand einzufangen, um einen Kuss auf seine Fingerknöchel zu hauchen. Auch auf seinen geröteten Lippen erblüht ein Lächeln, dessen Anblick mich für einen Moment so in seinen Bann zieht, dass ich Rukis Worte nicht verstehe, obwohl ich das Handy weiterhin am Ohr habe. „Entschuldige, sag das noch mal, ich scheine schlechten empfang zu haben“, lüge ich, ohne eine Spur von Scham. Aois Lächeln verwandelt sich zu einem breiten Grinsen und seine Lippen formen das Wort Schwindler, was durchaus der Wahrheit entspricht.   „Ich sagte, die Kasse spinnt schon wieder. Der Scanner ist tot und manuelle Eingaben quittiert das dumme Ding nur mit Fehlercode 165. Du hattest das vor Kurzem doch schon einmal, was muss ich tun?“   „Oh nein, nicht schon wieder“, stöhne ich und komme auf die Beine. Ich schenke Aoi noch einen entschuldigenden Blick, vergrabe die freie Hand in meinen Haaren und beginne, auf und ab zu laufen. „Hast du schon im Handbuch nachgesehen, das liegt unter der Theke im rechten Schubladen.“   „Ja. Fehlercode 165 hat irgendwas mit dem Systemupdate zu tun und ich soll mich an den Administrator wenden. Ich weiß nicht mal, wer der Administrator ist.“   „Mist“, zische ich ungehalten. Das klingt nach einer längeren Sache. Das letzte Mal, als ich ein ähnliches Problem hatte, musste ich stundenlang in der Warteschleife der Herstellerfirma verharren, bis ich einen Systemadministrator an die Strippe bekommen habe. Langsam aber sicher komme ich zu der Überzeugung, dass es eine schlechte Idee gewesen ist, mich für dieses ultramoderne und supereffiziente Kassenprogramm zu entscheiden. Es erleichtert mir zwar auf der einen Seite die Arbeit, da ich viele Auswertungen und Auflistungen automatisch erstellen kann, über die vor allem meine Steuerberaterin glücklich ist. Auf der anderen Seite nützt mir das nichts, wenn das System im täglichen Gebrauch unzuverlässig ist. „Tu mir bitte einen Gefallen.“ Am anderen Ende brummt Ruki zustimmend und ich fahre fort. „An das Geld in der Kasse kommst du ran, oder?“   „Ja.“   „Dann notier dir alle Einnahmen händisch und vertröste die Kunden, die nur bargeldlos bezahlen können.“ Mein Blick schweift zu Aoi und ich bin hin- und hergerissen, zwischen meinem Pflichtbewusstsein dem Laden gegenüber und dem Unwillen, ihn jetzt zu verlassen. Wir haben uns eben erst ausgesprochen und ich bin mir noch gar nicht im Klaren darüber, ob wir wirklich schon alles aus der Welt geschafft haben.   „Wird gemacht. Tut mir leid, dass ich dich stören musste.“   „Schon gut, ich bin froh, dass du so gut auf das Kiseki achtest. Ehrlich.“   „Kein Ding, Boss, dafür bin ich da.“ Ich seufze hörbar, was Ruki nicht entgeht. „Ist noch was?“   „Um ehrlich zu sein, schon.“ Wieder sehe ich zu Aoi, der an seinem Tee nippt und unbeteiligt wirkt, jedoch bin ich mir sicher, dass er jedes meiner Worte aufmerksam verfolgt. „Darf ich dich um einen weiteren Gefallen bitten?“   „Schieß los.“ Ich höre ein gedämpftes Schnalzen über die Leitung und kann die hellrosa Kaugummiblase beinahe sehen, die Ruki nach ihrem Platzen gleich wieder formt. Alter Rebell    „Ich weiß, dass ich gegen fünf wieder zurück sein wollte und jetzt auch noch das Problem mit der Kasse dazukommt, aber …“ Ich atme tief durch, noch hat Ruki mich nicht unterbrochen, was ein gutes Zeichen ist. „Kann ich es von dir verlangen, dass du allein die Stellung hältst?“ Ruki brummt nachdenklich und deutlich länger als nötig, was mir zeigt, dass er meine Spannung nur künstlich in die Höhe treiben möchte. Es gelingt ihm tadellos.   „Klar kannst du. Ich habe heute sowieso nichts Besseres vor.“   „Danke, Ruki.“ Ich atme erleichtert aus. „Du hast was gut bei mir.“   „Davon kannst du ausgehen. Ich will morgen alles wissen, hörst du? Jedes Detail.“   „Ich weiß nicht, was du meinst.“   „Oh doch, mein Lieber, so kommst du mir nicht davon. Und den Schokoladen-Muffin solltest du besser auch nicht vergessen.“   „In Ordnung“, stimme ich vage zu und schüttele lächelnd den Kopf. Schnell verabschiede ich mich, lege auf und lasse erleichtert die Schultern hängen. Ich weiß, dass das Kiseki bei Ruki in den besten Händen ist, dennoch nagt das schlechte Gewissen an mir.   „Na, alles geklärt?“ Aois Worte sind leise und ich fühle seine Präsenz im Rücken, bevor er seine Lippen zart auf meinen Hals legt. Ich erschauere und schließe die Augen. Noch einmal bäumt sich das schlechte Gewissen auf, will mich davon überzeugen, dass ich gerade die falsche Entscheidung getroffen habe, aber Aois Berührungen und die Gänsehaut, die mir wohlig über den Rücken rinnt, vertreiben es sehr effektiv.   „Ja, ich denke schon. Ruki hat alles im Griff. Ich hoffe nur, der Abend wird ruhig.“   „Dir macht das Kassenprogramm also öfter Schwierigkeiten?“   „Es ist temperamentvoller als ein wildes Fohlen, aber weitaus weniger niedlich.“ Aoi schnaubt amüsiert, noch immer nah an meinem Hals, und lässt mich damit erneut erschauern.   „Ich könnte es mir ansehen.“   „Du?“ Verblüfft hebe ich eine Augenbraue und drehe mich zu ihm um. „Ich dachte, du programmierst barrierefreie Apps, kennst du dich nun auch noch mit Kassensystemen aus?“   „Versprechen kann ich es dir natürlich nicht, aber wenn ich es mir nicht anschaue, wissen wir es auch nicht genau.“   „Ich werde morgen früh gleich den Kundendienst anrufen, aber ich komm auf dein Angebot gern zurück.“ Wieder lächle ich und spüre ein leichtes Ziehen im Kiefer. Kein Wunder, so gefordert war die Muskulatur meiner Mundwinkel noch nie. Ich lehne mich in seine lockere Umarmung, sehe ihm direkt in die schönen Augen und streiche ihm einige Haarsträhnen hinters Ohr. Ein wohliges Zittern fährt mir durch die Glieder, als meine Fingerkuppen über die feinen Stoppeln auf seiner Wange kratzen. Begehren flammt heiß und mächtig in mir auf, vernebelt mir für einen Augenblick die Sinne.   „Aoi“, hauche ich, nippe zart an seinen Lippen. Plötzlich verfestigt sich der Druck seiner Arme um meine Mitte. „Ist zwischen uns wirklich alles geklärt? Bitte glaub mir, dass es mir leid …“   Weiter komme ich nicht. Aoi zieht mich näher und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich keine verbale Antwort auf meine Frage erhalten werde. Ich schmunzle, lasse ihn nur zu gerne gewähren und öffne meinen Mund für seine Zunge. In dem Moment wird mir klar, dass wirklich alles in Ordnung zwischen uns ist. Himmel, sogar schwer in Ordnung. Ich stöhne leise auf, als er mich leidenschaftlich heftig zu küssen beginnt. In meinem Kopf schweben Gedankenfetzen wie Nebelschwaden umher, doch ich kann keinen greifen. Aoi keucht auf, als ich ihn gegen den Kühlschrank dränge. Meine zitternden Finger suchen nach dem Bund seines Shirts, fahren darunter und stoßen auf nackte, erhitzte Haut. Alles an ihm fühlt sich so gut an, selbst das Kratzen der feinen Bartstoppeln über meine Wange ist erregend. Nur mit Mühe und einer beinahe unmenschlichen Kraftanstrengung gelingt es mir, meine fordernden Finger wieder nur sanft über seine Haut tasten zu lassen und auch unserem Kuss die Dringlichkeit zu nehmen.   „Wir sollten nichts überstürzen“, hauche ich nah an seinem Mund; so atemlos, als hätte ich einen Dauerlauf hinter mir.   „Du hast recht.“ Er räuspert sich, doch als ich meine Hände unter seinem Shirt hervorziehe, sehe ich Bedauern in seinen Augen flackern. Damit ist er nicht allein, aber ich muss vernünftig sein, wenigstens noch ein bisschen. Außerdem ist da noch Reita und meine wachsenden Gefühle für ihn … aber Aoi sieht so verlockend aus. Himmel, ich bin schrecklich. Er lächelt mich an, als könnte er meinen inneren Zwiespalt spüren und ich kann nicht anders, nehme sein Gesicht in beide Hände und küsse seine Nasenspitze. Ob ich ihm sagen soll, wie niedlich ich ihn finde? Aoi nimmt mir diese Entscheidung ab, als er seine Hand über meine Rechte legt, sich stärker gegen sie schmiegt.   „Weißt du …“, beginnt er und leckt sich in einer sicher unbewussten Geste über die Lippen. Mir fährt ein heißer Blitz durch die Eingeweide, mein Mund wird trocken und alles in mir ruft danach, ihn sofort wieder küssen zu wollen. Aber Aoi redet weiter, verzaubert mich nun auf eine andere Art. „Du warst vor einem Jahr der Grund, weswegen ich mit dem Mobilitätstraining angefangen habe. Nachdem meine Augen wieder schlechter geworden waren, wollte ich mich nur noch verkriechen. Ich habe Reita an den Rand der Verzweiflung gebracht, das weiß ich und das tut mir bis heute leid.“ Er verstummt, wirkt für einen Moment gefangen in seinen Erinnerungen. Dann tasten seine Finger nach meinem Gesicht, fahren von meiner Nase, über die Lippen, bis sie am Übergang meines Kiefers zum Hals verharren. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper und meine Lippen stehen ein kleines Stück offen, so intensiv fühlt sich gerade alles an. Sein Blick, seine Nähe, seine Worte. „Eines Abends hat er mir ein Buch gebracht, weil wir uns tags zuvor über das Hörbuch unterhalten haben, was ich zu dem Zeitpunkt angehört hatte, und ich meinte, ich würde es vermissen, durch die Seiten zu blättern.“   „Die Idee stammt also von Reita? Ich meine, das Hörbuch anzuhören und gleichzeitig das Buch zu haben?“   „Ja.“ Aoi nickt und lacht leise. „So außerhalb der Box denkt nur er.“ Liebe steht in Aois Blick, Zuneigung und etwas, das ich nicht ganz erkennen kann. In mir steigt Wärme auf und erneut verspüre ich den nahezu unbändigen Wunsch, ein Teil davon sein zu dürfen. „Er hatte das Buch in irgendeinem Kaufhaus gefunden und mitgenommen. Es war in einer Plastiktüte und ich erinnere mich bis heute daran, wie enttäuscht ich war, dass es nicht in Papier eingeschlagen war.“ Papier. Unwillkürlich heben sich meine Mundwinkel in einem Lächeln. Ich schlage die Bücher immer in Papier ein. „Es roch auch ganz anders, als ich es aufschlug. Irgendwie steril. Da war kein unterschwelliger Geruch nach Kaffee, nach altem Holz oder Rukis saisonal wechselnden Raumdüften.“ Aoi kommt mir näher, drückt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen. „Es stammte nicht aus dem Kiseki. In dem Moment beschloss ich, nicht mehr länger den Kopf in den Sand zu stecken. Ich wollte wieder selbstständig in meinen Lieblingsbuchladen gehen können, wollte der schönen Stimme meines Buchhändlers lauschen … Ich wollte einfach zu dir zurück, verstehst du?“ Ich nicke, zu keiner verbalen Antwort fähig. Tränen brennen in meinen Augen, aber noch fallen sie nicht. „Ich wollte mir nicht die Chance nehmen lassen, dich irgendwann in ein Gespräch verwickeln zu können.“ Aoi grinst schief. „Gut, dass ich nicht damit gerechnet habe, wie schwer du es mir machen wirst.“   „Was? Aber, ich …“   „Das war nur ein Scherz, Uruha. Ich wollte dir damit nur sagen, wie wichtig du schon für mich warst, bevor wir uns richtig kennengelernt haben. Dass allein der Gedanke an dich, mich aus einem sehr tiefen, sehr dunklen Loch geholt hat. Wie wichtig du mir bist.“ Mein Herz fühlt sich drei Nummern zu groß für meinen Brustkorb an. Ich will etwas sagen, will so vieles gleichzeitig von mir geben, dass letzten Endes nur ein Ausatmen über meine Lippen kommt. Also tue ich das Einzige, zu dem ich fähig bin, ich umarme ihn, halte mich an ihm fest und wünschte beinahe, ich könnte in ihn hineinkriechen.   „Danke“, wispere ich wieder und wieder, während er durch meine Haare im Nacken krault, eine leise, mir unbekannte Melodie in mein Ohr summt. Nur langsam ebbt die Flut meiner Gefühle ab, bis ich mich soweit gefangen habe, dass ich mich aufrichten, ihm wieder in die Augen sehen kann. Seine dunklen Tiefen schwimmen vor Emotionen und meine sehen bestimmt nicht anders aus. Plötzlich schüttelt er den Kopf und ein kleines Lachen kommt ihm über die Lippen. Es klingt amüsiert und verblüfft zugleich, als wäre ihm etwas klar geworden, mit dem er nicht gerechnet hat. „Was ist?“, frage ich und wundere mich, dass mich sein Verhalten gar nicht verunsichert. Ich fühle lediglich Interesse in mir aufsteigen und streichle ihm erneut über die Haare.   „Mir ist gerade nur bewusst geworden, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben Dankbarkeit für meine Situation empfinde.“ Er fängt meine Hand ein, drückt einen Kuss auf die Fingerknöchel. „Wäre ich dir nicht vor die Füße gefallen und hättest du meiner Augen wegen deine Barrieren nicht sinken lassen, wären wir nun nicht da, wo wir sind.“ Sein Lächeln ist wie etwas Lebendiges, das sich um uns legt, uns einander noch näher bringt, obwohl das nicht mehr möglich sein sollte. Ich muss es von seinen Lippen küssen, muss es schmecken, in mich aufnehmen, um es nie wieder vermissen zu müssen. Sein Name entflieht mir zwischen zwei Küssen, ich schlinge die Arme um ihn und er die seinen um mich. Wieder rinnen mir Tränen über die Wangen, aber diesmal sind es Tränen der Rührung, der Freude, ja … der Dankbarkeit.   „Und ich bin dir so dankbar, dass du mir das alles gesagt hast. Dass du mir trotz allem eine Chance gibst.“   „Uruha, nicht.“ Ich schüttele den Kopf, meinen Zeigefinger gegen seine Lippen gelegt.   „Reita hat recht. Dein Herz ist wirklich so groß, um mir nicht nur vergeben zu können und in all dem das Positive zu sehen, sondern auch, um Platz für uns beide zu haben. Ich … ich will das auch.“ Ein nervöses Beben jagt mir durch die Glieder, doch der Druck um meine Mitte verstärkt sich, gibt mir Sicherheit und Halt.   „Meinst du das so, wie ich es verstehe?“   „Ja.“   Aois Kuss ist gierig, versengend und gleichzeitig so liebevoll, dass ich mich ohne seine Stütze nicht mehr auf den Beinen halten könnte. Ich keuche, erwidere, kralle mich in seine Schultern und habe doch das Gefühl, so leicht zu sein, dass der kleinste Windhauch mich davontreiben könnte. Ich habe es gesagt, habe Aoi nicht nur meine Gefühle gestanden, sondern auch angedeutet, wie ich zu Reita stehe. Es fühlt sich gut an, richtig sogar. Aoi küsst meine Kieferlinie, bis er an meinem Ohr angekommen ist.   „Was hältst du davon, wenn wir es uns ein bisschen gemütlicher machen?“   „Sehr viel.“   „Dann komm.“   Sein Lächeln wird zu einem geheimnisvollen Schmunzeln, als er meine Stirn küsst und mir damit einen wohligen Schauer über den Rücken jagt. Sanft umschließt er meine Hand, führt mich aus der Küche und schlägt den vertrauten Weg nach oben ins Wohnzimmer ein. Mein Herz flattert wie ein kleiner Vogel in meinem Brustkorb; Erleichterung und nervöse Vorfreude halten sich die Waage. Wieder wandern meine Gedanken zu Reita und ich spüre, wie mir erneut die Röte in die Wangen steigt. Ob ich ihn heute noch einmal sehen werde? Ich hoffe es. Aois Worte haben mir Mut gemacht, mir so viel gegeben, dass ich nun mit unumstößlicher Sicherheit weiß, was ich will. Ich will Aoi und ich will Reita. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als ein Teil dieser tiefen Gefühle zu sein, die die beiden füreinander empfinden. Vor allem aber will ich Reita endlich die Antwort geben, die ich ihm schuldig bin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)